Warum die Spurensuche heute , nach Jahrzehnten? Welchen Sinn macht das noch?
Was ist der Beweggrund, mich mit meiner Geschichte auseinanderzusetzen?
Es ist der Drang, Licht in ein dunkles Kapitel meiner Familiengeschichte zu bringen. Kaum jemand meiner Generation hat von seinen Eltern und Großeltern offene, ehrliche Antworten auf Fragen über ihr Leben in der Nazi-Zeit bekommen.
Unsere Eltern und Großeltern ersparten sich die seelische Arbeit, mit Schmerz, Trauer und Verantwortung umzugehen und schoben sie uns, der nächsten Generation in die Schuhe.
Mittlerweile ist erwiesen: Traumata, die unsere Eltern und Großeltern erlitten haben, sind ein Stück weit auch unsere Traumata, die der Kinder und Kindeskinder.
Für unsere Persönlichkeitsentwicklung brauchen wir Wahrhaftigkeit. Und so lebe ich – seit ich denken kann – mit dem diffusen Gefühl, da ist ein düsteres Loch, dass ich nicht greifen kann. Ich lebe in dem Gefühl der Unvollständigkeit und Unwahrheit. Seit ich angefangen habe hinzuschauen, fange ich an zu begreifen, warum ist unsere Elterngeneration so hilflos im Umgang mit Gefühlen, so gewaltgeprägt ist, warum fallen ihnen liebevolle Beziehungen so schwer…
Viktor kämpft sein Leben lang für soziale Gerechtigkeit, wird als „Volksverräter“ enthauptet und „für immer ehrlos“ erklärt. Die junge Bundesrepublik Deutschland seinerzeit nimmt ihre Chance nicht wahr, politisch Verfolgte zu rehabilitieren und ihre Würde wiederherzustellen.
Eine Konsequenz der Recherchen: Ich fechte heute das Unrechtsurteil gegen meinen Urgroßvater an. Eine Odyssee durch die juristische Welt steht bevor. Mir geht es um Viktors symbolische Rehabilitierung, stellvertretend für viele andere, deren Mut und Zivilcourage nie gewürdigt wurde – nicht in der Gesellschaft der Nachkriegszeit, nicht in den eigenen Familien.
vor kurzem ist ein Buch erschienen :Bankerte ! Besatzungskinder in Deutschland nach 1945!
70 jahre spaeter ! Silke Satjukow und Rainer Gries haben recherchiert , man wird nie fertig mit den suchen nach den Wurzeln
Es ist sicher nur gerecht, gegen das Unrechtsurteil vorzugehen und zu versuchen, einen aufrechten NS Widerstandskämpfer zu rehabilitieren ! Aber wen interessiert das am Ende ? Daß das NS Regime ein Unrechtssystem war, ist doch jedem in Deutschland längst bekannt – Deinem Urgroßvater nützt die posthume “Gerechtsprechung” nichts mehr. Ich verstehe auch nicht genau, was die Rehabilitierung DIR nutzen würde.
Das, was geschehen ist, genauestens zu dokumentieren und nach dem Geist Deines Urgroßvaters im Heute und in Dir zu suchen, finde ich aber ein tolles Projekt !
Viktors Rehabilitierung bedeutet für mich eine symbolische Rehabilitierung der vielen Tausend ermordeten Gegner des NS-Regimes. Eine Würdigung ihrer Zivilcourage haben die Wenigsten erfahren.
Unsere Eltern und Großeltern waren nicht in der Lage die Verantwortung für ihr Handeln in der NS-Zeit zu übernehmen und haben sie uns gewissermaßen uns, der zweiten und dritten Generation in die Schuhe geschoben. Ich möchte diese Last nicht an meine Tochter weiterreichen. Da habe ich einen Auftrag zu erfüllen, den hat sie mir klar erteilt und ich nehme die Herausforderung an.