Viktor wird unter falschem Namen gedacht. Ein Widerstandskämpfers, der bis heute wohl nicht offiziell wahrgenommen werden soll.
Erinnerung an meinen ersten Besuch auf dem Gräberfeld X im Sommer 2013:
Es ist ein extrem heißer Tag in Tübingen. Ich bin aufgeregt. Nach aufwendigen, zeitraubenden Recherchen habe ich herausfinden können, dass mein Urgroßvater, Georg Viktor Kunz als anatomisches Präparat im Anatomischen Institut der Universität Tübingen missbraucht worden war, und anschließend im Sommer 1944 auf dem Gräberfeld X verscharrt wurde.
Ich bin nie zuvor auf dem Tübingen Stadtfriedhof gewesen und nehme die besondere Athmosphäre von Ruhe und Friedlichkeit auf. Der Ort macht Vergänglichkeit ganz wunderbar durch Verwitterung, das Wachstum von mehrjährigen Pflanzen, die nicht preussisch gestutzt sind und Grabmäler uns Statuen, besonders gestaltet, spürbar. Alles scheint sich harmonisch ineinanderzufügen
Nachdem ich die würdige Friedlichkeit hinter mir gelassen hatte, betrete ich abseits, in der hinterstes Ecke des Friedhofs, das Gräberfeld X. Keine Kletterrosensträucher, kein Rittersporn, oder andere mehrjährige Blumenstauden würdigen den Ort durch Schönheit. laden zum Gedenken ein. Der Platz wirkt unbelebt und verlassen, nicht ungepflegt, aber auch nicht liebevoll gestaltet. Auf einer der sechs in den Boden eingelassenen Bronzetafeln suchte ich den Namen meines Urgroßvater. Ich finde ihn schließlich unter dem ihm von den Nazis angehefteten Namen, Georg Goss. Viktor wird unter falschem Namen gedacht.
Das ist ein Schock, sehr schmerzhaft und in seiner Bedeutung unerträglich für mich. Mir wird klar, warum mich der falsche Name negativ berührt, wütend macht. Er symbolisiert nur das Ende einer Kette des Ausradierens eines Lebens, nämlich das eines Widerstandskämpfers, der bis heute wohl nicht offiziell wahrgenommen werden soll.
Ein Beleg hierfür:
Der Reichsminister für Justiz ordnet nach Viktors Verurteilung uns Ablehnung des Gnadengesuchs im Aug. 1943 an: „…die Hinrichtung ist dem Scharfrichter Reichhart zu übertragen….von einer Bekanntmachung in der Presse und durch Anschlag bitte ich abzusehen…“
D.h. niemand hat von der Hinrichtung erfahren, auch nicht die Familie.
„…Ebenfalls muss ich eine Überlassung der Leiche an die Angehörigen zur schlichten Bestattung ablehnen, da bei der Einstellung eines großen Teiles der elsässischen Bevölkerung mit einer Massenbeileidskundgebung zu rechnen ist…“, so der Reichsminister für Justiz.
Die Familie durfte den Leichnam nicht bestatten, das Trauern oder auch nur die Gewissheit, was mit dem Ehemann, dem Vater geschehen war, wurde verwehrt.
In der Nacht vor seiner Hinrichtung, am16. Aug. 1943, schrieb Viktor einen Abschiedsbrief an einen Freund:
Mein lieber Freund Alfred,
..die Würfel sind gefallen, gefasst trete ich getreu meiner Überzeugungen den letzten Gang an…. Allen, allen, die mir gut sind, sende ich die herzlichsten Grüße… Möge ein baldiger Frieden die Wunden heilen… bewahrt mir ein gutes Andenken…
… Das Sterben ist nicht so schwer, wenn man seiner selbst treu bleibt.
Dieser Brief wurde nie abgeschickt. Die Gestapo hielt ihn zurück, weil er seinen Überzeugungen treu blieb. Erst 70 Jahre später finde ich den Brief.
Meine Bemühungen das Unrechtsurteil gegen meinen Urgroßvater, Georg Viktor Kunz, in einer Einzelfallprüfung aufheben zu lassen und ihn somit zu rehabilitieren, auch von der Brandmarkung durch den Volksgerichtshof „… für immer ehrlos…“ zu sein, ist vor dem Bundesgerichtshof gescheitert. Der Gesetzgeber sieht keine Prüfung dieser Fälle vor.
Vor diesen Hintergrund ist es umso unerträglicher, dass Georg Viktor Kunz unter dem falschen, von den Nazis kolportieren, Namen Georg Goss auf der Bronzetafel genannt ist. In seinem Fall dient die Nennung eher der Verschleierung, als der Würdigung und Aufklärung. Das bedeutet für mich in der Konsequenz, dass dieser aktive Widerstandskämpfer für seine Hinterbliebenen quasi unsichtbar gemacht wurde, aber auch für die nachfolgenden Generationen und das kollektive Bewusstsein.
Der Name auf der Tafel muss korrigiert werden.
Auch mein Onkel Willi Berrisch, dort eingetragen als “Willi Bereis” ist am 22.6.1944 im Lichthof Stuttgart hingerichtet worden: Urteil Fahnenflucht. Nach etlichen Jahren konnte ich ihn finden. Er liegt im Massengrab “Gräberfeld X” auf dem Stadtfriedhof in Tübingen.
Zuvor war diente er als “Anatomisches Präparat” der Uni. Unglaublich.
Ich habe einen Auszug aus dem Leichenbuch der Uni bekommen. Ebenso würde ich gern den richtigen Namen BERRISCH auf der Tafel haben wollen, weiß aber nicht, wie ich es anstellen soll.
Robert Berrisch
http://www.robert-berrisch.de
29229 Celle
Schoopwäsche 8
PS: Eine sehr gute Seite, die Mut macht!
Danke für Ihren Kommentar, Herr Berrisch.
Wenden Sie sich an die Pressestelle der Stadt Tübingen. Dort setzte ich mich seit einem halben Jahr dafür ein, dass der Name meines Urgroßvaters auf der Tafel auf dem Gräberfeld X korrigiert wird. Auch Herr Rauch vom Stadtarchiv Tübingen ist ein Ansprechpartner für Ihr Anliegen. Je mehr Leute sich für ihre ermordeten Angehörigen stark machen, desdo mehr Druck entsteht und die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass ihnen, wenn auch spät, eine Wahrnehmung und Rehabilitation zuteil wird.
Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auf dem Laufenden halten.
Mit einem Gruß
Carmen Eckhardt
Hallo Frau Eckardt, lange ist es her und Corona hat uns im Griff. Ich bin nun “Privater” mit 63 Jahren und habe wieder etwas Zeit, da Enkel auch nicht so richtig angesagt sind 🙂
Habe Sie mal eine Benachrichtigung bekommen hinsichtlich der Berichtigung der Namen. Ich habe dort ja auch interveniert – auch für die Broschüre…
Mögen Sie gesund bleiben.
Ihr Robert Berrisch aus Celle
Hallo Herr Berrisch,
entschuldigen Sie meinen verspätete Rückmedung.
Nein, leider habe ich bislang nie eine Nachricht oder Rückmeldung bekommen.
Bleiben auch Sie gesund.
Beste Grüße
Carmen Eckhardt